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Eine Seefahrt die ist lustig, eine Seefahrt die ist schön, heißt es in dem alten Volkslied, das wohl in den dreißiger Jahren bereits gesungen wurde.

Nun ist nicht für jeden eine Seefahrt lustig und schön. Ich zähle mich leider auch (meistens) dazu und kann mich noch an eine Fahrt erinnern, die bereits viele Jahre zurückliegt. Ich war zur Kieler Woche auf einen sehr alten Traditionssegler eingeladen worden. Alle anderen Teilnehmer kannten den Baggersee um die Ecke oder die Berge, es war für sie eine Premiere. Doch auch als „Nordlicht“ hatte ich diese Erfahrung noch nicht gemacht. Es war schon beeindruckend, als dieses Prachtschiff unter vollen Segeln direkt hinter die Gorch Fock fuhr, um als zweites Schiff hinter dieser die Regatta mit anzuführen. 

Man kam sich fast vor wie eins Moses, als er das Meer spaltete. Alle anderen Schiffe fuhren zur Seite und machten Platz für uns, bildeten einen Korridor. Es war ein bewegender Moment hindurch zu fahren und sich hinter die Gorch Fock an die Spitze zu setzen. 

Es dauerte eine Weile, bis wir dann langsam etwas weiter rausfuhren Richtung Leuchtturm Stollergrund, als die See unruhiger wurde. Zur selben Zeit wurde auch ich unruhiger, denn mein Magen fing an zu rebellieren. Oder anders ausgedrückt, mir wurde „kotzübel“. 

Während alle anderen sich amüsierten und das unter Deck gerade eröffnete Buffet genossen, hing ich nicht nur sprichwörtlich in den Seilen. Ich ließ mir ein trockenes Brötchen mit nach oben bringen, schaute, wie empfohlen, immer zum Horizont, und hoffte, dass die Fahrt schnell vorbei sein würde. 

Meine Seetauglichkeit wurde mir anschließend zwar sogar durch eine Urkunde bescheinigt, aber noch einmal wollte ich das nicht mitmachen. Alles macht man einmal zum ersten Mal. 

Als wir dann wieder sicher im Hafen eingelaufen waren, verabschiedete ich mich auf der Stelle und wollte einfach nur noch zu Hause auf dem Sofa liegen und alleine sein.

Viele Jahre später hatte ich jetzt eine erneute Premiere. Dieses Mal war es kein Traditionssegler, sondern ein motorgesteuertes Schiff. Der Anlass war aber nun ein völlig anderer. Es stand die Verabschiedung eines Freundes an. Ein Kalendereintrag, der seit ich dazu eingeladen wurde, nicht von meiner Seite wich. Zutiefst dankbar, ihn auf seiner letzten Reise begleiten zu dürfen, betrat ich mit Becca das Schiff. Als hätte er sein letztes Drehbuch selber geschrieben, wärmte uns die Sonne bei strahlendem, aber kühlen Wetter. 

Angespannt, tief in Gedanken, stelle sich pünktlich um 13:00 Uhr der Kapitän vor. Es reichte ein Satz und ich fühlte mich sofort gut aufgehoben und auf eine gewisse Art auch „an die Hand genommen“, auf dieser schweren Reise. Zusammen mit seinem Sohn bereitete er uns emphatisch, kompetent und zutiefst einfühlsam auf das Kommende vor. 

Die Fahrt sollte eine Stunde dauern. Eine wertvolle Stunde einer letzten Begegnung. 

Viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Viele schöne Erinnerungen, viele Momente, lachen, zusammenhalten, Vertrauen, aufeinander zählen, gute Gespräche, Freude, Respekt. Viele Jahre erlebtes. 

Ich halte Beccas Hand fest in meiner, als genau nach einer Stunde der Motor verstummt. Den Rest gleiten wir über das Meer. Nun heißt es endgültig Abschied zu nehmen. Während meine Tränen und die Sonne meine Sicht beeinflussen, wird er nun dem Meer übergeben. Die Gedanken überschlagen sich, mein Herz zieht sich zusammen, mein Körper schwer, meine Seele in diesem Moment mit seiner verbunden. Überall sehe ich ihn, überall ist er bei uns, begleitet uns in dieser schweren Stunde. 

Und während das Schiff ein paar letzte Kreise um das Meer aus Blumen fährt, erklingt zum letzten Mal die Glocke. Nun heißt es loslassen.

An dieser Stelle herzlichen Dank an seine liebe  Frau und Tochter, dass wir auf dieser Reise dabei sein durften. Ihr habt alles, wirklich alles, richtig gemacht, genau so, wie er sich seine letzte Zeit gewünscht hatte. 

Und auch wenn wir ihn jetzt für eine unbestimmte Zeit nicht direkt sehen können, so können wir trotzdem immer mit ihm reden und in Gedanken bei ihm sein. Und nur weil sein Körper nicht mehr bei uns ist, so ist er doch immer in unserer Nähe.