Wenn ich abends schlafen gehe, denke ich meistens schon an den kommenden Tag. 

Was liegt an, habe ich irgendwelche Termine, gibt es etwas Unangenehmes oder kann ich entspannt in den Tag starten. Zum Glück kann ich meistens beruhigt einschlafen. Die normalen Alltagssorgen sind ja wahrscheinlich bei jedem irgendwo im Hinterkopf gespeichert, aber sofern nichts gravierend Negatives in meinen Gedanken auftaucht, ist alles gut!

Wie an jedem Tag stehe ich, nachdem der Wecker seine Arbeit vollzogen hat, auf, und gehe erst einmal die Balkontür öffnen, um frische Luft hereinzulassen. 

Als ich gerade ins Bad wollte, hatte ich plötzlich das Gefühl, von einem hellen Blitz am linken Auge getroffen worden zu sein. Schwindel setzte ein, dazu kam dann ganz schnell eine leichte Panikattacke. Sofort setzte ich mich aufs Sofa und schloss die Augen. 

Foto Marc Olivier Jodoin Unsplash

Das wird gleich besser dachte ich. Wenn du die Augen wieder aufmachst ist es bestimmt weg. Leider war das aber nicht der Fall. Also taumelte ich ins Bad und stellte mich vor den Spiegel. Nachdem wir nun alle zusammen ein gutes Jahr die „AHA-L“ Regel gegen Corona täglich einsetzen, erinnerte ich mich an die „Fast-Regel“, aber nur schwammig. Handelt es sich um einen Schlaganfall, fragte ich mich unwohl. „F“ steht für Face, also Gesicht. Kann man noch lachen, ohne dass eine Gesichtshälfte runterhängt, ist der Punkt erledigt. OK, ich sah zwar nicht besonders munter aus, aber nichts hing in meinem Gesicht. „A“ für Arms, also Arme. Beide Arme gleichzeitig nach vorne gestreckt und die Handflächen nach oben, funktioniert, keine Lähmung. OK, „S“ für Speech, Sprache. Ich sagte mir selber, wie ich heiße, wo ich wohne und wann ich geboren bin, klappt also auch. „T“ steht für Time, Zeit, die bei einem Schlaganfall entscheidend ist, um den Notarzt zu rufen. Nicht nötig, dass ist es jedenfalls nicht.

Also setzte ich mich erneut aufs Sofa und schloss meine Augen, alles drehte sich weiterhin. 

Als meine Frau mich so sitzen sah, machte sie sich selbstverständlich Sorgen und brachte mich wieder ins Bett. Ich versuchte sie zu beruhigen und versuchte dieses Gefühl schnellstmöglich wieder loszuwerden. Ist bestimmt nur der Kreislauf durch den Wetterumschwung, sagte ich ihr und versuchte auch mir das einzureden. 

Doch dann war sie da, die alles entscheidende Frage. Ohne dass ich sie hervor rief, stand sie plötzlich im Raum, tief in meinem Inneren. „Ist das heute dein letzter Tag„? Panik machte sich in mir breit. 

Ob man es wohl spürt, wenn es soweit ist? Hatte ich am Tag zuvor schon irgendwelche Anzeichen, gab es irgendetwas, was darauf hindeutete? Bekommt man „von oben“ ein Zeichen oder trifft es jeden ohne Vorwarnung.

 Wer wird einen besonders vermissen? Habe ich genügend vorgesorgt, meine Papiere auf dem aktuellen Stand? Habe ich noch ganz wichtige Dinge zu erledigen, etwas gravierendes versäumt? Hätte ich etwas anders machen sollen und was bleibt nach? 

Wenn uns ein für uns besonderer Mensch verlässt, denkt man selber, die Welt bleibt stehen. Doch man wird schnell eines Besseren belehrt. Man geht morgens zur Tür hinaus, der Körper schwer wie Blei und wundert sich, dass alles wie immer aussieht. Die Leute gehen an einem vorbei, als wäre nichts geschehen. Dabei muss mir das doch jeder ansehen, den geliebten Menschen ebenfalls vermissen. Aber so ist es nicht. Alles dreht sich weiter, wie am Tag davor. Nur für eine bestimmte Anzahl hat sich die Welt von einer auf die andere Sekunde für immer verändert. 

Ich versuchte die trüben Gedanken beiseite zu schieben und schlief tatsächlich einige Zeit später ein. 

Als ich die Augen erneut öffnete, es waren etwa zwei Stunden vergangen, war das komische Gefühl zwar noch nicht weg, aber ich fühlte mich schon wieder besser. Ich atmete tief durch, streckte mich und stand langsam wieder auf. Meine Frau und meine Mutter hatten sich Sorgen gemacht, doch ich konnte sie beruhigen.

Und, ich konnte auch mich wieder beruhigen. Heute ist er es also noch nicht, dein letzter Tag, dachte ich erleichtert. Werden wir es spüren, wenn er dann doch irgendwann soweit ist? Wir werden es feststellen, oder aber auch nicht!